Palais Salm-Reifferscheidt – Sitz der Freimaurer
Die Brünner Textilindustrie erlebte Ende des 18. Jahrhunderts einen erfreulichen Aufschwung. Die Bedeutung der hiesigen Produktion konnte allerdings nicht mit Produkten aus den nördlichen Ländern Schritt halten. Vor allem Großbritannien stand weiterhin an der Spitze. So wurde Großbritannien das Ziel einer abenteuerlichen Reise von Hugo Franz Salm-Reifferscheidt (1776–1836), einem Sohn des Besitzers der Domänen Rájec und Blansko und Gründers der Brünner Freimaurerloge Zur aufgehenden Sonne im Orient, des Altgrafen Karl Josef Salm-Reifferscheidt.
Blasius Höfel – Bildnis des Altgrafen Hugo Franz Salm-Reifferscheidt, vor 1838. Foto: © MZK
Josef Hickel – Bildnis des Altgrafen Karl Josef Salm-Reifferscheidt (Gemälde von den Sammlungen des Staatsschlosses Rájec nad Svitavou). Foto: © Jaroslav Prokop
Der junge, von dem Freimaurergedanken inspirierte Hugo Franz beschloss 1801 das Niveau der örtlichen Unternehmen zu heben und begab sich auf eine Geheimreise nach England, um hier Pläne für die modernsten Textilmaschinen zu besorgen. Als Arbeiter verkleidet ließ er sich in mehreren Fabriken beschäftigen und erlangte nach und nach 18 Pläne für alle damals bekannten Spinnereimaschinen. Am eigenen Leib schmuggelte er sie nach Hause, wobei er eine harte Strafe riskierte, denn die Ausfuhr von Maschinen oder Plänen war streng verboten und wurde von den englischen Gerichten mit lebenslanger Inhaftierung im australischen Botany Bay bestraft.
Dem mährischen Adeligen gelang es, die Zöllner zu überlisten, und er gelangte über Hamburg zurück nach Brünn, wo er den Verein zur Anlage einer Wollen-Maschinen-Spinnerei nach englischer Art gründete. 1804 setzte er in der Spinnerei Hopf und Bräunlich im Stadtteil Cejl sowie in der Maillard-Manufaktur in der Straße Údolní Brünns erste weltweit konkurrenzfähige Spinnmaschinen in Betrieb. In den nachfolgenden Jahren stieg die Qualität der Brünner Wollware so stark, dass sie nicht nur in der Habsburger Monarchie, sondern auch in anderen europäischen Ländern gefragt war.
Plan einer Spinnmaschine mit 80 Spindeln, den Hugo Franz Salm-Reifferscheidt 1801 aus England mitführte. Foto © Státní zámek v Rájci nad Svitavou
Elf von diesen Plänen sind bis heute im Bibliothekbestand des Schlosses Rájec erhalten. Sie bilden eine einzigartige Kollektion, die sowohl das Niveau der maschinellen Wollverarbeitung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert belegt, sondern auch die Ziele und Mittel dieser damals einmaligen Industriespionage.
Der Altgraf Hugo Franz Salm-Reifferscheidt förderte den Fortschritt jedoch auch in anderen Bereichen. Für die Brünner Kultur war die Gründung des Kaiser-Franz-Museums 1817 sicherlich die bedeutendste Tat. Er trug auch wesentlich zur Gesundheit der mährischen Bevölkerung bei: Auf seinem Gut führte er die Impfung gegen Pocken und Tollwut ein, und es wird erzählt, dass er die misstrauischen Dörfler erst dadurch überzeugte, dass er die erste Impfung an sich selbst vornahm. Berühmt wurden auch seine chemischen Versuche im Schlosslabor sowie seine Forschungsexpedition in die Schlucht Macocha im Mährischen Karst.
Das Palais Salm, wo er viele Tage seines fruchtbaren Lebens verbracht hatte, musste leider der Regulierung der Innenstadt weichen. Heute ist von dem Palais nur ein Portal erhalten, welches das Haus an der Ecke der Straßen Josefská und Masarykova schmückt.
Palais Salm-Reifferscheidt in Brünn, Sitz der Freimaurerloge, vor dem Abbruch. Foto © AMB