Auf den Spuren eines neuen Interesses am jüdischen Brünn und der Suche nach einem in Vergessenheit geratenen Kapitel in der Geschichte der Stadt.
Anstelle eines älteren barocken Gebäudes, das auf einer mittelalterlichen Parzelle inmitten der Stadt gestanden hatte, entstand im Jahr 1928 ein funktionalistisches Gebäude, das von der Baufirma Arthur Eisler für den jüdischen Textilhändler Jakub Rosenberg und seine Gattin Rudolfine erbaut wurde. Nachdem das lange verwaiste Bauwerk im Jahr 2013 renoviert worden war, eröffneten seine Eigentümer im Erdgeschoss eines der schönsten Cafés der Stadt. Zu Ehren ihrer Vorfahren gaben die heutigen Inhaber dem Kaffeehaus den Namen „Café Placzek“, um an den Namen einer bedeutenden jüdischen Familie aus Brünn zu erinnern, deren Bedeutung zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit über die Grenzen der Stadt hinausreichte. Zur Familie gehörte der langjährige Landesrabbiner und Hobbywissenschaftler Baruch Placzek, sein Sohn Alfred, Eigentümer einer prosperierenden Textilfabrik oder auch sein Sohn Georg, Mathematiker und Physiker, der mit seinen wissenschaftlichen Werken zu den größten Visionären des 20. Jahrhunderts zählte.
Baruch Jakob Placzek
Georg Placzek. Foto © VRN
Stolpersteine. Foto © VRN
In den Straßen der Stadt wächst von Jahr zu Jahr die Zahl von Stolpersteinen – unauffälligen Messingplatten, die zu Ehren ermordeter Juden im Auftrag von Verwandten, Bekannten oder Menschen, denen das Schicksal der einstigen Bewohner ihres Hauses nicht gleichgültig ist, in den Bürgersteig vor den Haustüren eingelassen werden. Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der Geschichte der Stadt spielt die Jüdische Gemeinde, die Vorträge und Kurse in traditionellen Tänzen oder koschere Abendessen für die Brünner veranstaltet, insbesondere jedoch der Brünner Architekt und große Kenner des jüdischen Mähren Jaroslav Klenovský, der sich bereits seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Brünn auseinandersetzt und auf diesem Feld unschätzbare Verdienste geleistet hat. Spaziergänge auf den Spuren des Holocaust, das erwachte Interesse an funktionalistischen Denkmälern, ihrer Eigentümer und Autoren sowie erscheinende Publikationen lassen hoffen, dass das lange vernachlässigte Thema eine vollkommen neue Resonanz findet. Brünn, das sich einst aus Tschechen, Deutschen und Juden zusammensetzte, wird somit nach Jahren zu einer Stadt, die sich ihrer berühmten und tragischen Vergangenheit zu erinnern beginnt.