Fabrik und Villa der Familie Schoeller
Die Entwicklung der Textilproduktion Ende des 18. Jahrhunderts lockte auch wichtige europäische Industrielle nach Brünn, die sich auf diese Branche spezialisierten. Zu ihnen gehörten auch die Schoellers aus dem deutschen Düren, die hier 1818 eine Zweigstelle ihres Unternehmens gründeten, nachdem sie die Wollfabrik Hopf und Bräunlich an der Straße Cejl gekauft hatten. Hier ließen sie sich einen prachtvollen Familiensitz erbauen.
Unter der Marke Gebrüder Schoeller waren sie aber nicht nur in Brünn tätig – die männlichen Angehörigen gründeten in verschiedenen Teilen Europas Filialen und führten das erfolgreiche Familiengeschäft quer über den ganzen Kontinent. Bald wuchsen sie zu einem mächtigen Textilklan, dessen Mitglieder andere Brünner Wollfabrikanten sowohl in Kapital als auch in ihrer Fähigkeit übertrafen, auf Veränderungen auf dem Markt flexibel zu reagieren, indem sie Zuckerfabriken oder Stahlwerke gründeten.
Die Brünner Filiale der Firma Gebrüder Schoeller entwickelte sich über ein Jahrhundert außerordentlich gut, auch dank der Tatsache, dass die Schoellers vor Ort zahlreiche – auch kulturelle und gesellschaftliche – Kontakte pflegten und häufig in die hohe Politik eintraten.
Unter den Angehörigen der Familie tat sich beispielsweise Gustav Phillip Schoeller (1866–1950) hervor, der mit seiner Frau, einer ehemaligen Schauspielerin, einen prominenten Künstlersalon in Brünn führte, oder Phillip Wilhelm Schoeller (1845–1916), der ein renommierter Kunstfotograf in Wien war. Wenig ruhmreich schrieb sich Phillip Alois Schoeller (1892–1977) in die Brünner Geschichte ein, der die Familienfirma 1933 übernahm. Zu dieser Zeit war er schon geheimes Mitglied der NSDAP, und während des Zweiten Weltkriegs bekleidete er sogar zahlreiche hohe politische Ämter in Nazi-Deutschland.
Gegen Kriegsende erkannte er das sichere Ende und flüchtete mit seiner ganzen verzweigten Familie vor der sich nähernden Front nach Wien, wo er sich weiterhin dem Geschäft widmete, insbesondere im Bankenwesen. Das Familienbankhaus Schoellerbank beendete seine Tätigkeit erst 1982.
Die Brünner Fabrik wurde mitsamt der Villa vom Staat konfisziert, beide dienen heute einem anderen Zweck. Auf dem Brünner Zentralfriedhof befinden sich die letzten Ruhestätten vieler Angehöriger der einst europaweit so mächtigen Familie Schoeller.
Die Fabrik „Gebrüder Schoeller“ Anfang des 20. Jahrhunderts. Foto © Archiv města Brna
Die Fabrik „Gebrüder Schoeller“, geschmückt anlässlich der Entstehung des Protektorats, März 1939. Foto © Archiv města Brna
Wenn Sie durch die Straße Cejl zu der achten Station gehen, machen Sie einen Abstecher in die Straße Radlas zu Ihrer rechten Seite. Hier erstreckte sich einst die größte Kammgarnspinnerei. Über die dort herrschenden harten Arbeitsbedingungen schrieb František Halas d. Ä. in seinem Buch Kemka – so hieß die Fabrik im Volksmund. Heute ist hier nur das Verwaltungsgebäude Radlas 5 geblieben, weil die Werke 1944 durch Bombentreffer und den folgenden Großbrand zerstört wurden.