01 | Villa Löw-Beer: Daheim

Adresa: Drobného 297/22

Hier lebte 1913-1939 die Familie von Marianne und Alfred Löw-Beer, Nachkommen der Firmengründers Moses Löw-Beer, die Großeltern z. B. von Daniela Hammer-Tugendhat.

Das Haus wurde 1903 von dem Wiener Architekten Alexander Neumann für den renommierten Brünner Unternehmer Moritz Fuhrmann entworfen. Zehn Jahre später wurde es samt einem ausgedehnten Grundstück von dem Textilmagnaten Alfred Löw-Beer gekauft. Dieser lebte hier mit seiner Frau Marianne, geborene Wiedmann, und drei Kindern – Max, Grete und Hans –, bis sie 1939 fliehen mussten. In den 1940er Jahren residierte hier die Gestapo, nach dem Krieg wurde die Villa verstaatlicht, und seit den 1950er Jahren befand sich hier ein Jugendheim. Sowohl das Haus als auch der Garten verfielen allmählich, bis sie 2013-2014 komplett restauriert wurden. 2016 wurde hier die Museumsausstellung „Die Welt des Brünner Bürgertums zwischen Löw-Beer und Tugendhat“ eröffnet.

Vila Löw-Beer v Brně - foto Miroslav Zavadil

Das Haus Löw-Beer. Foto: Miroslav Zavadil

Das Haus Löw-Beer gehört zu den bedeutendsten Häusern in Brünn nicht nur wegen ihrer ästhetischen und technischen Gestaltung, sondern auch wegen des historischen Kontextes. Den oberen Teil des Grundstücks bekam die Tochter der Eigentümer, Grete, mit ihrem zweiten Ehemann Fritz Tugendhat als Hochzeitsgeschenk und Vorgriff auf ihr Erbe. 1929 ließen sie hier ihr eigenes Haus bauen, ein außergewöhnliches Werk des Architekten Ludwig Mies van der Rohe. Das Haus Tugendhat und das Haus Löw-Beer bilden einen faszinierenden Kontrast, sie veranschaulichen eine radikale Veränderung des Lebensstils und der Wohnbedürfnisse.

Schodišťová hala se světlíkem Vily Löw-Beer v Brně

Das Haus Löw-Beer. Foto: Tomáš Dittrich

Die 1972 neunzigjährige Marianne Löw-Beer erinnerte sich an die Jahre mit ihrem Ehemann Alfred in diesem Haus. „Wir haben 1901 geheiratet. Das Haus haben wir gleich am ersten Tag gekauft, nachdem es auf dem Markt erschien. Wir hatten da wunderbare Jahre. Wir konnten hier noch unsere Silberne Hochzeit gemeinsam feiern. Ich wollte nicht, dass die Kinder großes Aufsehen daraus machen. Sie schenkten uns ein Bild von Cézanne – es war schön, aber es ist in Brünn geblieben, mit all den Wertsachen, die die Deutschen gestohlen hatten. Sie plünderten das ganze Haus aus.“ Marianne konnte mit ihrer Tochter Grete nach Venezuela fliehen, ihr Ehemann Alfred wurde auf der Flucht unter nicht geklärten Umständen ermordet. „Als deutsche Panzer am 15. März 1939 in die verstümmelte Tschechoslowakei einmarschierten, forderte Alfred seine Frau auf, sofort nach Prag zu fahren, wo sie ein Visum für die Schweiz bei einem Prager Anwalt bereit hatte. Ihr Wagen fuhr an vorrückenden deutschen Truppen vorbei und wurde beiseite abgestellt, damit die Kolonne vorbeifahren konnte. Endlich erreichten sie die Grenze. Marianne durfte ausreisen, man hat ihr allerdings ihr ganzes Geld beschlagnahmt. Auf der anderen Seite der Grenze musste sie eine Zugfahrkarte kaufen, konnte sie aber nicht bezahlen, so nahm sie ihre goldene Uhr ab und tauschte sie gegen die Fahrkarte ein. An einem Tag verlor sie alles: ihr Haus, ihren Mann, sogar ihre Uhr. Alfred blieb allein in Brünn und glaubte, dass seine Position es ihm ermöglichen würde, das Familienvermögen zu ordnen und erst später auszureisen. In Friedenszeiten hatte er überall gute Beziehungen, das hat sich jetzt jedoch geändert. Er wurde verhaftet, anschließend freigelassen, die Deutschen begannen mit Hilfe von Informanten seinen Besitz zu beschlagnahmen, sie vertrieben ihn aus seinem Haus in eine kleine Wohnung, nahmen ihm seinen Reisepass. Alfred zahlte der Gestapo viel Geld für gefälschte Dokumente und ein Versprechen seiner freien Ausreise aus der Tschechoslowakei. Als armer Schneider namens Schweigler verkleidet, stieg er mit nur neun Mark in der Tasche in den Zug. Nach einigen Tagen wurde an der Eisenbahnstrecke eine entstellte Leiche gefunden, die viel später als Leichnam von einem der ehemals mächtigsten Männer der Tschechoslowakei identifiziert wurde. Diese turbulenten Ereignisse seiner letzten Tage sind dank des Buches An Epic of the Gestapo von Sir Paul Dukes bekannt.“ (Daniel Low-Beer, The Arks) 

Alfred a Marianne Löw-Beer

Alfred und Marianne Löw-Beer, Foto: Fritz Tugendhat, Archiv Daniela Hammer-Tugendhat

Woher stammten die Löw-Beers eigentlich?

 Die Familie lebte ursprünglich im jüdischen Ghetto in Boskovice, einem Städtchen etwa 35 Kilometer nördlich von Brünn. Salomon (Schlomo) Löw-Beer, ein Wollhändler, Richter und Bürgermeister des Ghettos, hatte (neben anderen Kindern) zwei Söhne – Moses (Mosche) und Jakob. Im Revolutionsjahr 1848, als das Ghetto endlich geöffnet wurde, verließen Moses und Jakob Boskovice und gründeten zwei Familienzweige. Die Nachkommen von Moses ließen das Haus Tugendhat erbauen, die Nachkommen von Jakob eine Fabrik in Brněnec, die später zur Rettung von mehreren Hunderten Juden diente, wie es auch Steven Spielberg in seinem mit dem Oscar ausgezeichneten Film Schindlers Liste festhielt.

 Beide Familienzweige machten sich in Brünn ansässig, ihre Nachkommen wurden zum wesentlichen Bestandteil der örtlichen deutsch-tschechischen Kultur und trugen maßgeblich zu einer fast hundert Jahre dauernden jüdischen Emanzipation bei. Die Vornamen der Familienmitglieder änderten sich vom jüdischen Jakob zum österreichischen Leopold und tschechischen Tomáš nach dem ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk. Ihre Welt verschwand für immer im Jahre 1939, als die Nazis die Tschechoslowakei besetzten.” (Daniel Low-Beer, The Arks).

 Auszug aus den Stammbäumen der Familienzweige der Söhne von Salomon Löb/Löw-Beer (1746-1832): 

  • Aron und Jakob Löw-Beer, Gründer der Firma der späteren Firma Aron und Jakob Löw-Beer’s Söhne (seit 1857 in Brünnlitz/Brněnec)

und von

  • Moses Löw-Beer, Gründer der Firma Moses Löw-Beer (seit 1847 in Zwitawka/Svitávka).


Tipp: Besuchen Sie das gemütliche Café „Celnice“ im Garten der Haus Löw-Beer. Sie können sich hier erfrischen und dann durch den Garten nach oben gehen, um das Haus Tugendhat zu besichtigen. Von dem Garten her öffnet sich die schönste Ansicht, und Sie werden hier ähnliche Gefühle wie die Familienmitglieder erleben, die durch den Privatpark zwischen den beiden Häusern frei passieren konnten. In der Nachbarschaft, mit Blick auf die Haus Tugendhat auf der linken Seite, befindet sich auch das Haus Hoze (bekannt als Haus Arnold), das Haus von Alfreds Schwester Cecilie (Cilly), die 1942 mit ihrer Familie von den Nazis ermordet wurde.

 Ihre nächste Station ist das Haus Tugendhat. Wenn Sie nicht durch den Garten gehen, können Sie es über die nahe gelegene Straße Schodová erreichen. 

  Haus Tugendhat

Das Haus Tugendhat, Blick vom Garten. Foto: Fritz Tugendhat ca. 1931 (© Archiv Daniela Hammer-Tugendhat)