Hier lebten 1930-1938 Grete und Fritz Tugendhat mit ihren Kindern.
Im Jahre 1928 schenkte Alfred Löw-Beer seiner Tochter Grete ein Grundstück im oberen Teil seines Gartens an der Straße Černopolní als Vorgriff auf ihr Erbe. Grete und ihr zweiter Ehemann, Fritz Tugendhat, ließen hier im folgenden Jahr eine eigene Haus erbauen, ein Werk des Architekten Ludwig Mies van der Rohe und seiner Partnerin Lilly Reich, das zu Recht zu den schönsten Familienhäusern und Ikonen der modernen Architektur zählt.
Villa Tugendhat. Foto © Vít Švajcr (Dobré světlo.com)
Grete und Fritz Tugendhat mit ihren Kindern Hanna (Gretes Tochter aus der ersten Ehe) und den Söhnen Ernst und Herbert lebten hier nur acht Jahre lang. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft mussten sie 1938 zuerst in die Schweiz und dann nach Venezuela fliehen. Das Haus Tugendhat wurde auch nach 1989 nicht restituiert und befindet sich seit 1980 im Besitz der Stadt Brünn. Die Familie, insbesondere ihre Töchter Ruth Guggenheim-Tugendhat und Daniela Hammer-Tugendhat sowie ihr Mann Ivo Hammer haben intensiv dazu beigetragen, das Haus öffentlich zugänglich zu machen und zu erhalten
Das Gewicht des gesamten Gebäudes wird nicht von den Wänden getragen, sondern von subtilen, verchromten Stahlsäulen mit einem kreuzförmigen Querschnitt, was die Schaffung eines offenen, fließenden Raums ermöglicht. Das Herzstück des Hauses bildet eine Onyx-Wand, die dank der Sonnenstrahlen, die durch die Glaswände fallen, ihre Farbe und damit die Stimmung und Beleuchtung des Hauptwohnraums verändert. Das Haus ist ein Vorbild der modernen Architektur, das seiner Zeit einige Jahrzehnte voraus war, aber es muss auch als ein echtes Zuhause verstanden werden, in dem man gelebt hatte.
„Wir sahen zunächst den Grundriss eines riesigen Raumes mit einer runden und einer rechteckigen freistehenden Wand. Wir sahen sogleich, dass dieser Raum etwas Unerhörtes, nie Gesehenes war“... „Sehr schön und wahr fand ich, was damals Architekt Ludwig Hilberseimer sagte: Von diesem Haus können einem Fotografien gar keinen Eindruck vermitteln. Man muss sich in diesem Raum bewegen, sein Rhythmus ist wie Musik“, erinnerte sich Grete Tugendhat in ihrem in Tschechischer Sprache gehaltenen Vortrag am 17.1.1969, als sie mit ihrer Tochter Daniela as Haus in Brünn besuchte. (siehe Daniela Hammer-Tugendhat, Ivo Hammer und Wolf Tegethoff, Haus Tugendhat, 2020 as Haus in Brünn besuchte. (siehe Daniela Hammer-Tugendhat, Ivo Hammer und Wolf Tegethoff, Haus Tugendhat, 2020)
Foto: Treffen der Familien Löw-Beer, Tugendhat und Stiassni während des Festivals Meeting Brno 2017, Meeting Brno.
„Wir waren Teil von etwas sehr Positivem, Konstruktivem, von dem Optimismus, der zu dieser Zeit in der Tschechoslowakei herrschte – und all das verkörperte dieses Haus, es war ein Ausdruck des positiven Denkens der 1930er Jahre. Es war damals eine neue Vision. Man hat mich dorthin gebracht, um zu spielen, wir haben das Haus für selbstverständlich gehalten“, erinnert sich Eliška Löw-Beer, Tochter von Felix Löw-Beer. (Daniel Low-Beer, The Arks)
Die Löw-Beers verbrachten ein Wochenende im Haus Tugendhat wie in einem Familienhaus während des Festivals Meeting Brno 2017, Meeting Brno.
Daniel Low-Beer fügt hinzu: "Im Jahre 2017 wurden die Familien Löw-Beer und Tugendhat eingeladen, einige Tage in Brünn zu verbringen. Erst damals habe ich die Partnerschaft des Architekten mit der Familie bei dem Bau ihres Zuhauses voll schätzen können. Wir wurden von Gretes Tochter Daniela und deren Ehemann Ivo Hammer durch das Haus geführt. Unsere Kinder spielten hier und rannten vom Garten ins Wohnzimmer, hin und her. Dies machte die Villa noch hundertmal schöner und lebendiger als gewöhnlich, sie gewann ihre wahre Gestalt zurück und war wieder ein Zuhause.
Wenn man am Eingang in der Straße Černopolní steht, erscheint das Haus Tugendhat ziemlich unauffällig, seine überwältigende Gestaltung zeigt sich bei dem Anblick vom Garten her und vor allem drinnen. Ein offenes, gläsernes Haus ist das Gegenteil eines geschlossenen Ghettos, in dem meine Vorfahren nur neunzig Jahre zuvor lebten. Das Haus ist eine Verneinung des Ghettos. Wie ein Wellenrücken ist dieses Haus, von einem deutschen Architekten und mährischen Handwerkern für eine jüdische Familie erbaut, der Höhepunkt einer einzigartigen Kultur, die sich über das Vorherige erhob und dann wie die Welle wieder zusammenbrach. Der Schriftsteller Simon Mawer schreibt in seinem Buch The Glass Room, dass das Haus weder jüdisch noch deutsch sei. Und eigentlich auch nicht tschechisch, es sei international. Aber ich bin anderer Meinung. Es ist ein schönes Haus, dessen Architektur man nur dann verstehen kann, wenn man es auch als Zuhause wahrnimmt, als Ort voller realer Geschichten und Menschen. Für die Juden war die Tschechoslowakei eine Heimat, wo sie sich offen und uneingeschränkt in Wirtschaft und Kultur ausdrücken konnten. Das schönste Haus des 20. Jahrhunderts spiegelt den Esprit des neuen demokratischen Staates und der damit verbundenen, radikal modernen und offenen Lebensweise wider. Mies' Häuser in Deutschland waren konservativer, in Amerika kälter. Mies und Grete mussten von Berlin nach Brünn kommen, um dieses Haus eben hier zu bauen. Es ist nämlich ein Ausdruck jener Kultur, die es den Juden ermöglichte, sich wirklich zu Hause zu fühlen. (Daniel Low-Beer, The Arks, 2020)
Die Besichtigung des Hauses Tugendhat müssen Sie frühzeitig buchen. Wenn Sie nicht hineinkommen, gehen Sie zumindest auf die Terrasse und in den Garten, wo Sie nicht nur einen schönen Ausblick auf die Stadt genießen, sondern vor allem den Blick auf drei Familienhäuser – das Haus Löw-Beer, das Haus Tugendhat und das Haus Hože (die sogenannte Haus Arnold), wo Alfred Löw-Beers Schwester Cecilie lebte, die mit ihrer ganzen Familie von den Nazis ermordet wurde. Wir hoffen, dass sich die einzelnen Gärten im Laufe der Zeit wieder vereinen, um die Intimität des privaten Familienparks aufleben zu lassen.
Der Museumsladen im Haus bietet u.a. das Buch von Daniela Hammer-Tugendhat, Ivo Hammer und Wolf Tegethoff, Haus Tugendhat, 20203 mit schönen Fotos von Fritz Tugendhat sowie einen Dokumentarfilm von Dieter Reifarth (2013) an. Beides hilft Ihnen, dieses Haus als echtes Zuhause wahrzunehmen.
Haus Tugendhat, Wohnraum. Foto: Daniel Low-Beer
Um zur nächsten Station dieses Themenweges zu gelangen, müssen Sie wieder hinunter zur Straße Drobného, wo die Villa Löw-Beer steht, die Straße überqueren und durch den Park Lužánky gehen. Es ist ein schöner Spaziergang durch einen der ältesten öffentlichen Parks Mitteleuropas (seit 1786). Unterwegs sehen Sie den Neurenaissance-Pavillon des Wiener Architekten Ludwig Förster (1855), der heute als das Freizeitzentrum Lužánky dient. Unterwegs gibt es verschiedene Möglichkeiten für Kinderspiele, Entspannung und Erfrischung.
In der Straße Lidická nehmen Sie die Straßenbahnlinie 1 (Haltestelle Antonínská) und fahren Sie am Hauptbahnhof und dem Brünner Messegelände vorbei in die Straße Hlinky (Haltestelle Pisárky). Überqueren Sie die Straße und gehen Sie bergauf durch die Straßen Hroznová und Kalvodova. An der Kreuzung mit der Straße Marie Pujmanové finden Sie Ihr Ziel – das Haus von Ernst Löw-Beer. Von der Straßenbahnhaltestelle bis zur Villa passieren Sie das wunderschöne Masaryk-Viertel, ein „Freilichtmuseum der modernen Architektur“.