Auf den Spuren des jüdischen Glaubens, von Rabbinern, Reformatoren und falschen Propheten.
Der polnische Tempel, auch Polnische Schule genannt, war ein jüdisches Bethaus, das im Jahr 1883 vom Verein „Minjan“ in der Kröna (Křenová) errichtet wurde. Der Verein, dessen hebräischer Name auf das Wort „zählen“ verweist, also auf mindestens zehn Personen, ohne die kein öffentlicher Gottesdienst abgehalten werden darf, wählte einen Ort aus, der bereits seit dem 18. Jahrhundert mit der jüdischen Besiedelung der Stadt Brünn verbunden war. Das Bethaus war für orthodoxe Juden aus Galizien bestimmt, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach einem besseren Leben aus ihrem armen „Schtetl“ auswanderten und sich in allen Ecken der Monarchie und Welt niederließen.
Der polnische Tempel. Foto © Jaroslav Klenovský
Blick und Schnitt des Polnischen Tempels auf die Straße Křenová 22. Zeichnung © Jaroslav Klenovský
Noch bis Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts diente das schlichte Bauwerk im Hoftrakt eines Mietshauses dem Gebet, bis es von der Firma Frank & Neufeld zu kommerziellen Zwecken erworben wurde. Das Gebäude überlebte zwar die Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus, wurde jedoch im Jahr 2006 bedauerlicherweise abgerissen, wodurch Brünn um eines der bedeutendsten jüdischen Denkmäler ärmer wurde. Der polnische Tempel ist ein Beleg für die komplexe innere Struktur der jüdischen Bevölkerung der Stadt Brünn zu Zeiten der Habsburger Monarchie und der Ersten Republik. In der Stadt lebten Angehörige zahlreicher religiöser Strömungen und Gruppierungen nebeneinander. Aus Galizien kamen traditionelle orthodoxe Juden nach Brünn, deren Zahl während des Ersten Weltkriegs drastisch anstieg, als die Stadt von Kriegsflüchtlingen aus den Frontgebieten überschwemmt wurde. Viele der knapp 16000 Juden in Brünn blieben auf Dauer und führten mit ihren Bräuchen, ihrer Sprache und ihrem unterschiedlichen Äußeren zu einem grundlegenden Wandel der hiesigen Gemeinde. Die meisten der in Brünn niedergelassenen Juden bekannte sich zum reformierten Judaismus, dessen Liturgie und Prinzipien stark von der Aufklärung beeinflusst wurde. Eines seiner Hauptmerkmale war der Übergang zu den Nationalsprachen, im Falle der Stadt Brünn zu Deutsch und Tschechisch.
Gebäude des ehemaligen Jüdischen Gymnasiums an der Hybešova-Straße 43. Foto © VRN